Eigentlich bin ich im Text zu Hause. Die deutsche Sprache ist seit sehr vielen Jahren mein Métier. Die Fotografie kam erst viel später dazu. Beides miteinander zu verbinden, finde ich einfach superspannend. Meist mache ich das auf die ganz herkömmliche Art: Als Reisebloggerin schreibe ich einen Beitrag und illustriere ihn mit einigen passenden Reisefotos. Aber natürlich gibt es viel mehr Möglichkeiten. Deshalb habe ich ein fotografisches Experiment ausprobiert.
Man nehme ein Gedicht und versuche, seine Eindrücke und Assoziationen dazu fotografisch festzuhalten. Nicht so einfach, aber es geht. Natürlich sollte man ein Gedicht wählen, das einen anspricht, interessiert oder sogar fasziniert. Ich habe es mit „Sachliche Romanze“ von Erich Kästner probiert:
Sachliche Romanze
Als sie einander acht Jahre kannten
(und man darf sagen: sie kannten sich gut),
kam ihre Liebe plötzlich abhanden.
Wie andern Leuten ein Stock oder Hut.
Sie waren traurig, betrugen sich heiter,
versuchten Küsse, als ob nichts sei,
und sahen sich an und wußten nicht weiter.
Da weinte sie schließlich. Und er stand dabei.
Vom Fenster aus konnte man Schiffen winken.
Er sagte, es wäre schon Viertel nach Vier
und Zeit, irgendwo Kaffee zu trinken.
Nebenan übte ein Mensch Klavier.
Sie gingen ins kleinste Cafe am Ort
und rührten in ihren Tassen.
Am Abend saßen sie immer noch dort.
Sie saßen allein, und sie sprachen kein Wort
und konnten es einfach nicht fassen.
Erich Kästner
Was ist das für ein Gedicht?
Das Gedicht von 1928 wird der „Neuen Sachlichkeit“ zugerechnet. Dabei geht es meist um eine ziemlich nüchterne Beschreibung von Tatsachen, oft um politische Themen, häufig aber auch um ganz alltägliche Probleme, die jeder kennt. Und da sind wir schon bei dem Punkt, der mich angesprochen hat: Erich Kästner beschreibt eine Situation, die ich kenne und erlebt habe.
Was habe ich im fotografischen Experiment damit gemacht?
Ich habe mir erlaubt, die eher sachliche Darstellung des Gedichts in den Fotos rein subjektiv und emotional darzustellen. Ich habe nicht wirklich versucht, das Gedicht zu interpretieren oder zu analysieren. Stattdessen habe ich es nur gelesen und bin dann sofort mit der Kamera losgezogen, um den spontanen Eindruck des Gedichts fotografisch festzuhalten.
Mein Eindruck entstand spontan, und genauso spontan habe ich auch fotografiert. Es sind im Grunde fotografische Assoziationen, die ich unmittelbar nach dem Lesen des Gedichts festgehalten habe. Die Bilder sind nicht den einzelnen Strophen zugeordnet, sondern sie gehören alle zum Gedicht insgesamt. In den Fotos kann man den Bruch in der Beziehung erkennen, vielleicht auch die Vergänglichkeit der Liebe. Zugleich habe ich aber auch daran gedacht, dass das Paar ja trotz allem anscheinend weiter zusammenhält. Der Eindruck ist irgendwie kalt und warm zugleich. Ein Gegensatz, wie sie ja auch im Gedicht auftauchen – in „sachlich“ und „Romanze“ oder in „traurig“ und „heiter“.
Ein subjektiver Eindruck
Wie gesagt, es war ein Experiment. Ob andere Menschen den Zusammenhang zwischen Text und Bild erkennen, weiß ich nicht. Die Fotos sind sehr abstrakt und nicht mehr als die Darstellung meines rein subjektiven Eindrucks. Aber der Versuch hat mir großen Spaß gemacht. Wenn Du wie ich fotografische Experimente magst, dann probier’s doch mal selbst aus! Hier findest Du weitere, ganz unterschiedliche Versuche mit der Kamera.
1 Comments